Es ist schon einmal passiert, damals, am 11. Mai 1984. Olaf Ludwig sprintete in Gera-Lusan dem Bulgaren Wenelin Hutoenow davon, ein Geraer Triumph zeichnete sich ab – und über 1000 Zuschauer drückten so heftig gegen den Zaun der 29. POS, dass dieser einfach nachgab. Ein Moment voller Leidenschaft, voller Spannung, voller unverfälschter Emotion.
41 Jahre später war es wieder ein Zaun, der nachgab. Wieder ein besonderer sportlicher Augenblick. Und wieder ein Moment, der zeigt: In Gera kann Sport etwas auslösen, das Menschen bewegt – im wahrsten Sinne des Wortes.
Vor 611 Zuschauern erlebte Scheubengrobsdorf ein Derby, das für die Thüringenliga kaum besser geschrieben werden könnte. Zunächst aber eines vorweg: Was der TSV Gera-Westvororte als Gastgeber auf die Beine stellte, verdient tiefen Respekt. Organisation, Verpflegung, Atmosphäre – alles auf einem Niveau, von dem so mancher Ex-Oberligist sich gern eine Scheibe abschneiden darf. Und der Rasen? Vor sechs Jahren noch ein Acker, heute ein Grün in sensationellem Zustand für diese Jahreszeit. Da hat der Greenkeeper ein kleines Wunder vollbracht.
Sportlich zeigte die BSG Wismut Gera einen Auftritt, der Mut macht. Es war nicht nur ein lebloser Kampf um Tabellenplätze – es war ein Spiel, in dem der unbedingte Wille sichtbar wurde. Einer, der diesen Willen verkörperte, war ganz sicher Issouf Nabi Razack Gnessian. Was für eine Präsenz, was für eine Leistung! Und auch Julius Grabs wächst gerade in eine Rolle, die ihn zum Spieler der Stunde werden lässt.
Das erste Tor für die BSG fiel in der 22. Minute, sechs Minuten später legt Gnessian nach einer Ecke nach – 2:0 nach 28 Minuten. Und doch: Jeder, der die BSG in den letzten Jahren begleitet hat, spürte ein Ziehen im Bauch. Zu oft haben solche Spiele noch eine bittere Wendung genommen. Und tatsächlich: Eichberger (54.) und Wolff per abgefälschter Flanke (58.) glichen aus. Der alte Film schien wieder anzulaufen.
Aber diesmal nicht. Diesmal schrieb jemand anderes das Drehbuch. Vor sechs Jahren war es Rico Heuschkel, der in diesem Derby zum 3:2 traf. Diesmal war es Kapitän Florian Schubert, der sich am kurzen Pfosten in die Grabs-Eingabe warf und das Leder ins Netz hämmerte (68.). Ein Tor der Entschlossenheit. Ein Tor der Befreiung.
Und dann – das Bad in der Menge. Der Zaun, der nachgab. Nicht aus Chaos, sondern aus purer Freude.
Als schließlich Harti und Vitzer eingewechselt wurden, lag ein Hauch Nostalgie über dem Spielfeld. Ein Wismut-Verrückter, ein Derbyheld – plötzlich fühlte es sich an wie früher. Ganz besonders, als Francis und Vitzer gemeinsam an Carola dachten und gemeinsam mit den Fans feierten. Ein Moment, der tiefer ging als ein Tabellenplatz.
Ja, die BSG hat die rote Laterne nach Nordthüringen abgegeben. Aber es geht nicht um Schadenfreude. Es geht um etwas Größeres: Die Freude darüber, dass diese Mannschaft wieder ein Lebenszeichen gesendet hat. Passend zu einem Verein, der in diesen Tagen Unglaubliches leistet. Jeden Tag neue Gespräche mit potenziellen Unterstützern. Ein virtueller Rasen, der wächst. Menschen, die wieder anfangen zu glauben.
Dieser Sieg steht für mehr als drei Punkte. Er war ein Zeichen dafür, dass man selbst am tiefsten Punkt wieder nach oben klettern kann – manchmal sogar mit so viel Leidenschaft, dass ein Zaun nicht standhält.