#79 | Hoffnung auf einen Dialog

Historisches passiert derzeit im Thüringer Fußball. Der Beschluss des Thüringer Fußball-Verbandes (TFV) die Saison 2019/2020 nach dem Sommer fortzuführen, verursacht heftigen Widerstand. Erstmals gibt es eine Online-Petition mit der Forderung die Saison abzubrechen und diese stößt mit über 2220 Unterschriften auf breite Zustimmung. Die aktuelle Situation sollte im Podcast-Format „FuPaFunk“ gemeinsam mit dem TFV besprochen und diskutiert werden. Leider blieb die Anfrage an den TFV-Pressesprecher und die -Geschäftsstelle unbeantwortet. So konnte der Wunsch vieler Fußballer und Eltern nach einem Dialog mit den Verbandsverantwortlichen zumindest in diesem Podcast nicht erfüllt werden. Doch auch ohne Verband diskutierten Tobias Busse (Trainer des Thüringenligisten FC An der Fahner Höhe). Marco Nagy (Abteilungsleiter beim SV Jena-Zwätzen), Jan Genseke (Vorstandmitglied bei der BSG Wismut Gera) und Felix Böhm (Redakteur bei FuPa Thüringen) die Entscheidung des Verbandes und deren Folgen aus unterschiedlichen Perspektiven.

Links und Zitate zum Podcast

Grundsätzlich Fußball und Corona

Rolle des Fußballs und der Verbände in der Corona-Krise

DFL: Die Bilder von Salomon Kalou aus der Kabine von Hertha BSC sind absolut inakzeptabel. Hierfür kann es keine Toleranz geben – auch mit Blick auf Spieler und Klubs, die sich an die Vorgaben halten, weil sie die Ernsthaftigkeit der Situation erfasst haben.“

https://www.kicker.de/775007/artikel/der_fall_kalou_wo_hertha_wirklich_die_vorgaben_missachtete

Jens Lehmann: „Solange die Symptome nicht so schlimm sind, denke ich, müssen die Spieler damit zurechtkommen …  ich denke also, für junge, gesunde Menschen mit einem starken Immunsystem ist das keine so große Sorge … aber gefährdete Menschen müssen natürlich aufpassen. Es hilft wahrscheinlich auch, einigermaßen gesund zu leben.“

Sportmediziner Bloch: Wir können nicht abschätzen, wie hoch die Gefahr tatsächlich ist.“- „Das betrifft wie gesagt nicht nur die Lunge, sondern das Herz kann auch durchaus betroffen sein.“- „Auch wenn jemand symptomlos ist, empfehlen wir zwei Wochen Pause.“- „Ich habe ein bisschen Angst davor, dass tatsächlich ein Spieler in diesem Spielbetrieb infiziert ist.“

https://video.tagesspiegel.de/sportmediziner-bloch-fuhlt-sich-nicht-wohl-mit-liga-neustart.html?do=read

Christoph Nowak, Erster Vorsitzender bei SSV Dillingen: „Es ist offensichtlich, dass die ALLESAMT ABSTIEGSGEFÄHRDETen 3. Liga-Vereine im Osten ihre Beziehungen zur Landes- und Kommunalpolitik nutzen möchten, um einen Saisonabbruch und somit den Klassenerhalt auf nichtsportlichem Wege zu schaffen. Dem muss meines Erachtens nach dringend Einhalt geboten werden, zur Not auch durch konsequenten Lizenzentzug. SV Waldhof Mannheim 07 möchte „am grünen Tisch“ aufsteigen und dort wurde sogar gegen jegliche Moral das tragische Ableben eines Spielervaters dafür instrumentalisiert. Hier munkelt man in der Branche von einer anderen Todesursache genauso wie über die jünsten Infektionsvorgänge beim Tabellenletzten der 2.Bundesliga, der SG Dynamo Dresden , an die unbefleckte Empfängnis erinnern…

Christoph Nowak, Erster Vorsitzender bei SSV Dillingen: „…mit welchen (politischen) Mitteln und Seilschaften so manche Vereine aus der 3. Liga, hier der FC Carl Zeiss Jena  die in sportlicher Not oder einer komfortablen Situation sind, auf einen Saisonabbruch hinarbeiten, ist meiner Ansicht nach schon sehr dreist und gegen jeden Fairplay-Gedanken! Die territoriale Ansiedlung der meisten besagten Vereine ist natürlich rein zufällig…

Sportbild und SG Dynamo Dresden: „Diese Formulierung und die latenten Vorwürfe samt aller Verschwörungstheorien, wir wollten mit unserem Verhalten einen Saisonabbruch herbeiführen, sind stigmatisierend, erfunden und eine bodenlose Frechheit. Die Formulierung ‚Streik‘ ist ein unglaublicher Skandal, weil wir als Mannschaft und alle, die Dynamo Dresden lieben, diffamiert werden.“

„Wir halten fest: Für uns als gesamte Mannschaft stand in den vergangenen Wochen und Tagen ein Streik als Option niemals zur Diskussion – und wird es auch in Zukunft nicht sein, egal wie es für uns weitergeht.“

„Kein einziger Spieler unserer Mannschaft hat sich leichtfertig mit dem Coronavirus infiziert, dafür legen wir als Mannschaft unsere Hände ins Feuer. Wer etwas anderes glaubt, sollte seine Moralvorstellung einmal ganz kritisch hinterfragen.“

Richtig ist und dazu stehen wir als Mannschaft: Wir haben in der von der „Sport Bild“ aufgegriffenen Mannschaftssitzung am vergangenen Samstag viele Fragen gestellt, die uns seit Wochen bewegen, auf die wir aber bis heute keine Antworten bekommen haben.

https://www.dynamo-dresden.de/saison/news/newsdetails/fakt-ist-ein-streik-stand-niemals-zur-diskussion.html

Die Entscheidungsfindung beim TFV

Zeitdauer für Entscheidungsfindung

Marcel Waldau (FC Carl Zeiss Jena): hartes Brot, Abstimmung (nur zwei(!) Tage nach einer Videokonferenz) hin oder her.

Michael Dietl (Glück-Auf Nachwuchsakademie Gera): Besonders die jetzt an den Tag gelegte Schnelligkeit, eine Entscheidung herbeizuführen kann ich nicht nachvollziehen. Bisher wurde immer auf die noch offenen Entscheidungen der Politik verwiesen, wovon plötzlich keine Rede mehr ist.

Umfrage notwendig?

Lars Sänger (MDR, Sportfreunde Marbach): Wozu braucht ein Verband eine Umfrage? Entscheidung treffen und fertig. Fakt ist, dass der jetzige Stand, also der Vor-Corona-Stand, ein real erzielter, sportlicher Stand ist. Wer vorne steht, soll aufsteigen und tut das mit Recht nach mehr als der Hälfte der Saison. Und umgekehrt. Was jetzt kommt: Spieler in höchst unterschiedlichem Zustand treten gegeneinander an. Indiskutabel und ungerecht.

Sven Harnisch (Soccer City e.V.): Ganz abgesehen davon halte ich es auch nicht für den richtigen Weg sich als Verband hier seiner Verantwortung zu entziehen und das Ganze basisdemokratisch abstimmen zu lassen. So kann ich mich bei jeder unbequemen Entscheidung aus dem Staub machen und die Hände hoch nehmen: „So hat die Merhheit entschieden.“ Wenn wir uns für sämtliche Dinge die Legitimation aller Vereine einholen wollen, dann frage ich mich was überhaupt die Aufgabe eines Landesverbandes ist?

„Bei meinem Votum hatte ich den Nachwuchs mit seinen Besonderheiten wie offenbar viele andere auch, nicht auf dem Schirm“, sagt der KFA-Vorsitzende Klaus Hübschmann.

Kritik an der Art und Weise der Abstimmung

Soccer City e.V.: Keinerlei qualitative Betrachtung der Abstimmungsergebnisse (Breitensport vs. Leistungssport; 737 aktive Vereine, davon ca. 650 Vereine auf Kreisebene und ca. 80 überregional aktive Vereine).

Soccer City e.V.: Keinerlei Gewichtung der Stimmen (eine Stimme je Verein egal ob 1 Mannschaft am Spielbetrieb oder – wie im Falle des JFV – 13).

Sven Harnisch (Soccer City e.V.): Demokratie hieße auch, dass die Stimmen Gewichtungen fänden und nicht verzerrt dargestellt werden. Ein kleiner Verein mit wenig Mitglieder und z.B. nur einer Mannschaft hat das gleiche Stimmrecht wie ein Großverein, der alle Altersklassen besetzt und noch drei Männermannschaften stellt. Natürlich ergibt die Wahl nicht das Stimmungsbild. Im Bundesrat hat ja Thüringen auch nicht den gleichen Stimmanteil wie bevölkerungsreiche Länder, weil es doch gar nicht die Verhältnisse widerspiegelt.

Transparenz der Ergebnisse

Andreas Ludwig (TSG Stotternheim): Das Ergebnis ist schon sehr kurios. Ich habe mit vielen gesprochen, nur haben alle für einen Abbruch gestimmt. Aber gut. Thüringen ist groß. Die Altersklassen im Nachwuchs werden bestraft. Der TFV hat seinen Willen. Ich bin auch für Transparenz der Abstimmung!

Jens Ahlgrimm (SC 1903 Weimar): Trotzdem wundert mich die Abstimmung, da ich, egal woher, nur die Möglichkeit eines Abruchs der Saison zu hören bekomme. Ich kenne bis jetzt keinen Verein, der die Saison weiter spielen möchte.

Eric Daniel Cantona: Oh je, oh je… da sind sie wieder – die verschwörungstheoretiker und die „ich habe hundert Leute gefragt“alias Familien Duell Umfrageersteller / weil das Ergebnis nicht so ist, wie sie es sich vorstellen wird hier munter raus beleidigt, beschimpft etc. pp…

Thüringer Fußball-Verband e.V. – TFV: Die Abstimmung kann von Vereinsvertretern in der Geschäftsstelle eingesehen werden.

Die Entscheidung

Die Abstimmung der Vereine über den mehrheitlichen Vorschlag des Vorstandes zum Spielbetrieb vom 02.05.20 ist beendet. Von den 737 aktiven Vereinen haben 81 Prozent teilgenommen, wobei jeder Verein nur eine Stimme hatte. Nach gründlicher Überprüfung stellte sich heraus, dass 585 Stimmen gültig sind. Von denen sind 340 (58,12%) Vereine dem TFV-Vorschlag gefolgt. Der sah bekanntlich vor, das Spieljahr 2019/20 bis zum 31.08.20 auszusetzen und, wenn es die behördlichen Verordnungen erlauben, ab 01.09.20 fortzusetzen. 245 Vereine (41,88%) waren dagegen. (tfv-erfurt.de)

Warum nicht wie in Sachsen?

Stefan Jung (SV Blau-Weiß Auma): in jedweder Hinsicht die optimale Lösung [Anm. d. Red.: Sachsen]. Da gibts nichts dran zu meckern. Aber anstatt sich ein Beispiel an einem (starken) Verband zu nehmen, muss man hier sein eigenes Süppchen kochen und den Vereinen in selbige spucken.

Identische Lösung für alle Bereiche

Thomas Fiedler (FSV Wacker 03 Gotha): Wie dem auch sei, ich erachte es als wichtig, dass für die Kinder- und Jugendmannschaften die gleiche Lösung gelten muss, wie im Männerbereich.

Folgen für den Männer- und Nachwuchsfußball

Überregionale Wettbewerbe

TFV-Präsidium: Einig war sich die Runde darin, dass es auf dem Gebiet des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) keine „Insellösungen“ geben und dann für alle Kreise auch einheitliche Festlegungen gelten sollten (TFV, 31. März 2020).

https://tfv-erfurt.de/nc/news/detail/news/von-der-sitzung-des-erweiterten-praesidiums-gremium-ist-auch-in-zeiten-von-corona-handlungsfaehig/

Die U15 des FC Rot-Weiß führt souverän ihre Verbandsliga-Staffel an, würde eigentlich in die Regionalliga der nächsthöheren Altersklasse U17 aufsteigen. Doch das ginge nicht, denn diese vom Nordostdeutschen Fußballverband organisierte Liga wird bereits in die Saison 2020/21 gestartet sein, während eben diese in Thüringen wegen einer Verlängerung der unterbrochenen Spielzeit ausfallen würde.

https://www.thueringer-allgemeine.de/sport/fc-rot-weiss-fuer-saisonabbruch-im-nachwuchsbereich-id229087295.html

Folgen für den Nachwuchsfußball

Kein Nachteil

Thomas Fiedler (FSV Wacker 03 Gotha): Es kann nie ein Nachteil für ein Kind sein, ein Jahr länger in der jüngeren Akl zu verweilen.

Marcel Waldau (FC Carl Zeiss Jena): Unfassbar sprachlos… man nimmt der Jugend eine komplette Jahrgangsstufe… Einige könnten zu den Männern, andere freuen sich endlich aufs Großfeld zu können usw

Wegzug insbesondere in Grenzgebieten

Stefan Jung (SV Blau-Weiß Auma): Wir sind direkt an der sächsischen Grenze….dort wird dann Woche für Woche gespielt… da haut mir doch die Hälfte der Jungs ab

Psyche der Kinder

Anja Hauptmann (SV Glückauf Bleicherode): Schade, dass sich augenscheinlich bei der Entscheidungsfindung für den Nachwuchsbereich wirklich niemand Gedanken gemacht hat, wie die Gemütslage bei vielen Kindern momentan aussieht. Seit Wochen beschulen sie sich selbst, Freunde sehen fällt aus, Training fällt aus etc.. Und jetzt kommt die nächste „Bestrafung“ für etwas, was sie nicht verschuldet haben. Erzählen Sie bitte mal den Eltern, wie sie den Kindern das alles nach den ganzen Verboten in der letzten Zeit noch erklären sollen, wenn selbst ihr geliebter Fußball jetzt alles auf den Kopf stellt? Und ganz ehrlich, den meisten Kindern ist es jetzt wirklich egal, wer Erster ist oder nicht. Sie wollen einfach nur wieder Fußball spielen und das mit Freude.

Wie geht es weiter?

Beschwerde SC 1903 Weimar

Der SC 1903 Weimar stimmte gegen eine Fortsetzung der Saison und wird nun entsprechend „Rechtsmittel der Beschwerde gegen den TFV-Vorstandsbeschluss vom 05.05.2020 und Antrag auf Durchführung eines außerordentlichen Verbandstag beim TFV stellen.“ Ziel der Beschwerde ist es die Frage eines möglichen Saisonabbruchs neu zu diskutieren. „Als Verein betrachten wir die aktuelle Entscheidung als nicht hinnehmbar und als Affront gegenüber der jahrelangen sehr guten Arbeit in den Altersklassen des SC 1903 Weimar, inkl. der beiden Männermannschaften“, heißt es in der offiziellen Begründung der Lindenberger.

https://www.fupa.net/berichte/sc-1903-weimar-sc-1903-weimar-legt-beschwerde-beim-tfv-ein-2653791.html

Vereinsbündnis in Jena-Saale-Orla

„Wir haben uns entschlossen Beschwerde einzulegen, was laut Satzung möglich ist und der einzige Weg aktuell scheint. Wir haben ein Satzungsvergehen festgestellt und lassen dies aktuell juristisch prüfen“, sagt André Lorbeer – Stellvertretender Abteilungsleiter und Verantwortlicher für die Öffentlichkeitsarbeit beim SV Jena Zwätzen gegenüber FuPa Thüringen. Mit der Beschwerde steht der mitgliederstarke Jenaer Verein, der drei Männermannschaften und zahlreiche Jugendteams unterhält, nicht alleine da. Aktuell unterstützen 15 Vereine diesen Zusammenschluss, wobei schon acht Vereine auch von Vorstandsebene offiziell als Bündnispartner genannt werden können.

Petition

Wir fordern einen Saison-Abbruch 2019/2020 und eine komplette neue Saison 2020/2021 für den Thüringer Nachwuchs im Fußball.

https://www.openpetition.de/petition/online/thueringer-fussballer-und-vereine-fuer-saisonabbruch-im-nachwuchs

Musik

Wir danken eddy für den Song „Though the Tunnels“ (https://www.freemusicarchive.org/music/eddy/srs_1647), der aufgrund der Lizens CC BY 4.0 | https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ im Podcast verwendet wird.

Ebenfalls danken wir Cambo für ihren Song „Coffee“ (https://www.freemusicarchive.org/music/Cambo/Chilled_Beats), der aufgrund der Lizens CC BY 4.0 | https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ im Podcast verwendet wird.

Podcastempfehlungen

#77 | Drei Trainer – drei Meinungen
https://podcast.brennpunkt-orange.de/77-drei-trainer-drei-meinungen/

#78 | Die Stimmen zur Verbandsentscheidung
https://podcast.brennpunkt-orange.de/78-die-stimmen-zur-verbandsentscheidung/

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